EDITORIAL
 
Mein ganz persönlicher 'Senf' - diesmal
'Keep It Country!' - oder 'weil's authentisch ist' ...

'Keep It Country!' - kann das mal jemand übersetzen?

Also mein Eigenversuch blieb bei der wörtlichen Übertragung "Lass es Vaterland [Anm.: oder 'Gelände', 'Gegend'] bleiben" bar jeden Sinnes.
Also hab' ich meine Wörterbücher bemüht. Diese Phrase ist nirgendwo verzeichnet. Der einzige spontan erreichbare US-Amerikaner kannte sie ebenso wenig und konnte auch keine sinnvolle Übersetzung liefern.
Dann per Internet. Die renommierteste Platform (Leo.org), welch Wunder, kannte den Ausdruck ebenso nicht.
In den Diskussionen unter Sprachwissenschaftlern und Studenten eine erste Spur:
Im Buch "Eureka Street" (deutsch "Eureka Street Belfast") sagt ein kleines Kind auf der Straße zum Protagonisten "Keep it country", was in der deutschen Übersetzung mit "Immer schön auf dem Teppich bleiben" übersetzt wurde.
Da das Buch von einem Iren geschrieben und in Irland verlegt wurde bin ich der Spur nachgegangen.
Im Irischen gibt es eine Abschiedsphrase "keep her country", die in etwa mit "immer schön sauber bleiben" übertragen wird.
Fazit: Die Formel 'Keep it Country' hat ebenfalls weder mit USA, noch mit Wildem Westen oder Cowboys zu tun.

Es ist, einem Anglistiker, einem Amerikaner, drei papierenen und zwei elektronischen Wörterbücher, sowie zwei Linguistik-Foren zufolge,  vielmehr tatsächlich Deutsch!

Schon das Wort 'Country' selbst ist rein deutsch! Also das ohne Artikel und ohne weiteren Zusatz.
Was bedeutet dieses einzelstehende Wort 'Country' eigentlich?
Ich hab gesucht - aber selbst die eifrigsten Verfechter dieser Sache bieten nirgendwo und niemals eine Begriffsbestimmung dafür an.
Demnach scheint "Kauntrie" das zu sein, was "Kauntrie" Fans mögen.
Und das ist alles mögliche - einschließlich anderer Musikrichtungen als 'Country Music'. Jedenfalls höre ich bei "Kauntrie" Festen regelmäßig auch deutschen Schlager, irische Pop Musik, Hardrock, Gospels und Cajun, mexikanische Volksmusik, Militärmusik des 19. Jahrhunderts und andere... Dazu Indianermystik, Westernreiten und Thüringer Bratwurst, Hufeisenwerfen, Kutschenfahrten und Goldwaschen.
Eine noch weniger fassbare Semantik-Chimäre wie das deutsche Wort 'Country' kenne ich einfach nicht!

So. Nun brauchte man sich an all diesen deutschen Erscheinungen einer deutschen Country Szene ja nicht zu stören. Gegen solches 'Denglisch' haben eigentlich auch nur Linguistiker und Philologen was einzuwenden...
Für Line Dancer ist es leider nicht ganz so einfach:
Es wird nämlich häufig behauptet:

"Als im 18. Jahrhundert die Siedler nach Amerika kamen, nahmen sie auch ihre Traditionen und Volkstänze mit, zum Beispiel Clantänze der Schotten und Iren, Contre-Dance der Franzosen sowie Standardtänze.
Ende des 18. Jahrhunderts gaben die Cowboys dann den traditionellen Tanzschritten ihren eigenen Country- und Westernstil. Der in den Saloons auf der Bühne vorgeführte Showtanz ging auf die Tanzfläche über. Wo vorher Paare getanzt haben, entwickelte sich eine neue Tanzgewohnheit, denn den Cowboys fehlten die Frauen, da die Mehrheit der Übersiedler Männer waren. Also tanzten sie für sich allein."

Also
- Line Dance sei eine Erfindung des 18. oder 19. Jahrhunderts (gar mit Wurzeln im 17.),
- und zwar ausgerechnet von überwiegend männlichen Tänzern erfunden,
- in den Kreisen immigrierter Siedler
- die ihr Geld als Cowboys verdient haben und
- die Country- oder Westernmusik dazu genutzt hätten.

Daran stimmt praktisch garnichts!

  • Die 'Zeit der Cowboys' gehört in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und dauerte gerade mal 30 Jahre.
    Der herrschende Gesellschaftstanz der USA zu der Zeit war der deutsche Rheinländer. Walzer und Polka gesellten sich bis zum und im im letzten Jahrzehnt vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert dazu.
    In der "Zeit der Cowboys" unterscheidet sich die Tanzkultur der Zeit nicht von der Europäischen.
    Einen - auch grafisch - sehr schönen Artikel zum amerikanischen Gesellschaftstanz im 18.Jahrhundert hab' ich übrigens hier gefunden!

 

  • Bereits 1620 kamen die ersten 90 Frauen nach Jamestown. Da hatte Jamestown (als einzige weiße Siedlung des Kontinents) weniger als 200 Einwohner! Vom Start weg gab es also  Frauen in den USA.
    Einwanderungen im 18. und 19. Jahrhundert bestanden aus ganzen Familien, ja großen Teilen von europäischen Dorfgemeinschaften!
    Die tatsächlich maßgebenden Einwanderungswellen fanden im Wechsel vom 19. zum 20.Jahrhundert statt.
    Zwischen 1820 und 1840 wanderten gerade mal 750 000 Individuen ein. Dem stehen alleine 1910-1920 fast 9 000 000 Neubürger entgegen.
    [Quelle: US-Botschaft in Deutschland]
    Die heutige Kultur der USA ist also, schon der schieren Volkszahl wegen, erst im 20.Jahrhundert ausgeprägt worden.
    Am Beginn einer authochtonen us-amerikanischen Kultur steht der Jazz. Der stammt aus den Jahren um 1910!

Aus anderslautenden, nachweislich falschen, Behauptungen wird abgeleitet, zum Line Dance sollte deswegen
- Cowboykleidung getragen,
- Country Music verwendet,
- dieser als Teil einer 'Country' Szene betrachtet und
- vorzugsweise nach den Gepflogenheiten dort praktiziert werden.

Wenn aber alle "Begründungen" für diese Forderungen frei erfunden oder nicht nachvollziehbare "Eigenkreationen" sind, dann entbehrt die Argumentation  vorne herein jeder Grundlage!

Ich finde, diese Erkenntnis sollte dazu führen, sich der tatsächlichen eigenen Entwicklung zuzuwenden und Line Dance
- nach den Gepflogenheiten der allgemeinen Tanzszene zu betreiben,
- die Tanzbekleidung dementsprechend zu wählen und
- sich über Rhythmen, Tanzformen und eigene Tradition, nicht über Kleidung, Accesoires und Vorlieben anderer zu definieren.

See ya'll on the dancefloor
                              Georg Kiesewetter

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